Ausser mir, gab es nur eine Handvoll Privatpersonen, die eine M.A.R.S. besassen - in der Regel kauften nur Hochschulen und Studios dieses Instrument. Der letzten (PCI-) M.A.R.S. begegnete ich Ende der 90er - ich war damals an der Einrichtung der M.A.R.S. im Freiburger Experimentalstudio des Südwestfunks (ehemals Strobel-Stiftung) - unter André Richard - beteiligt.
Die M.A.R.S. klang so gut, daß selbst Karlheinz Stockhausen, während eines Besuchs im elektronischen Studio Basel, zu dem wir ihm Ringmodulatoren für eine bevorstehende Aufführung von "Mixtur" (mit der M.A.R.S.) programmiert hatten, nach dem Hören sagte, sie seien "genau so gut wie die alten, analogen Ringmodulatoren im WDR, nur rauschen sie weniger". Wer auch nur annähernd eine Vorstellung von Karlheinz Stockhausen's Verhältnis zu seinen Ringmodulatoren hat, weiss, was das bedeutet: die M.A.R.S. war geadelt. Auch der andere Titan, Luciano Berio, arbeitete im IRIS Studio in Paliano mit der M.A.R.S. an eigenen Werken und ich hatte das unglaubliche Glück, das miterleben zu dürfen.
Die unterste Ebene der Software bilden die "Algorithms" (Screenshot links). Hier wird die Realisation im Kern programmiert. Alles muss irgendwie definiert werden. Eines der Grundprobleme war/ist, daß es in der M.A.R.S. nur "Fixed Point Algorithms" gibt - keine "Floating Point Algorithms". Fixed Point bedeutet, daß es nur Werte zwischen -1. und 1. gibt, alles Andere muss mit Formeln erzeugt werden, die, über Tables, die gewünschten Kurven erzeugen. Die entsprechenden, mathematischen Formeln sind daher unumgänglich. Da raucht schon mal die Birne.
Die Algorithms werden in "Tones" gebunden und die Tones in "Orchestras". So können die Tones z.B. einfach vervielfacht und mit verschiedenen Adressierungen für die Steuerung versehen werden. Dazu gibt es noch verschiedene Ebenen mit Tables (für LFO, Parameter u.m.).
Das "Orchestra" stellt die Einbindung der Tones in den System-Bus dar. Auch wenn es freundlich aussieht und übersichtlich scheint - die Programmierung ist einigermassen "tricky" und nicht mehr mit heutigen Benutzer-Oberflächen vergleichbar.
Die kleinen, grünen "S" und roten "D" im Algorithm sind Variable, die schwarzen "C" Fix-Werte. Durch Doppelklick öffnen sich "Definition-Windows".
Im linken Fenster ist ein futuristisches Ingredienz der M.A.R.S. zu sehen: Physical Modelling. Das war in den 90ern schon sehr verrückt, was sich da alles in der digitalen Elektronik auftat! Um beim Programmieren probezuhören, gibt es die kleinen Lautsprecher (1,2) - sie können an beliebigen Punkten zum Abhören gesetzt werden und sind nur in der Algorithm-Ebene aktiv.
Im rechten Fenster [Orchestra] ist die Bus-Einbindung zu sehen. Von den 4 Eingängen (Mikrofone mit grünen Linien) werden die Signale in die vorgesehenen Tones gezogen. Alternativ dazu, können auch die Ausgangs-Signale (graue Linien und Lautsprecher) in die Tones gerouted werden.
M.A.R.S. und ARES bieten auch jede erdenkliche Art an Werkzeugen, zum Abhören, Messen, Visualisieren und Überprüfen aller anfallenden Werte.
Heute erscheint es normal, aber Anfang der 90er war das ein überragendes Paket, daß unendlich viel und teure Hardware ersetzte, die auch nicht besonders zugänglich oder verbreitet war.
Es war der Anfang "wissenschaftlicher Absicherung", die inzwischen leider als ziemlich problematisch zu bewerten ist.
Zurück zur M.A.R.S.: der Clou für "electronic guerilla"- Leute, wie ich mich damals bezeichnete, war, daß die "Orchestra"-Files als MIDI-File gedumped werden konnten. So mussten die grossen und lauten PCs weder transportiert, noch "ertragen" (oder berücksichtigt) werden. Das war eine riesige Befreiung! Das Gepäck schrumpfte enorm und die Auf- und Abbau-Zeiten lagen bei etwa 10 Minuten (ohne "Aufstarten" - was damals auch noch etwas länger dauerte).
Von 1995 bis zum Ende des Jahrtausends war ich dann, quasi überall in der Welt unterwegs und habe mein Electronic-Guerilla Leben - mit der M.A.R.S. - gelebt. Ich hatte zwei Mini-Sender und Empfänger (Sony Freedom Series) mit guten Mikrofonen und stieg sogar bei Konzerten ein. Das war eine phantastische Zeit - und die letzte Phase, bevor (aus meiner Sicht) sowohl der Konzert-Betrieb, als auch der "Künstler-Stand" durch Professionalisierung (vielleicht) endgültig zerstört wurde. Performances wurden durch Präsentationen abgelöst.
Live Performances mit der M.A.R.S. waren schon deshlab phantastisch, weil der Aufbau extrem einfach war und die Konzentration für die Musik blieb! Ich hatte alles in einem 5 HE Softbag - M.A.R.S., Mackie-Pult, Mikrofone, Laptop und MIDI-Fader. Alles vorverkabelt - es musste nur Strom und die Verbindung zur PA angeschlossen werden. Vorher waren es ein Mac SE30 (Würfel), zwei 12HE Cases (extrem schwer!) und zwei (Klavier-) Tastaturen - die aufwändige Verkabelung dauerte ca. 90 Minuten! Was für ein Fortschritt.
Hier ein Bild vom Soundcheck beim VCF Festival in Köln. Wolfgang Heiniger und ich (das World Powerbook Orchestra) gaben "Hosen aus Licht". Im Einsatz waren zwei M.A.R.S. und viel Max. Auf dem Monitor und der Leinwand lief ein gefakter-Maschinen Text, der nur dazu diente, den mitlesenden Teil des Publikums durch (falsche) Fehlermeldungen zeitweise zu beunruhigen. Ein Reporter der Kölner Zeitung gratulierte mir hinterher zum passenden Titel "Rosen aus Licht". Ich habe ihn nicht korrigiert.
Nach dem Festival wurden wir, in grosser Übereinstimmung, als "DER Ausblick in die Zukunft der elektronischen Musik" gebranded. Grosse Zeiten!